TY - JOUR
T1 - Wirksamkeit und nutzen eines screeningverfahrens zur identifikation von rehabilitationsbedürftigen personen mit diabetes mellitus typ 2: Eine randomisierte, kontrollierte evaluationsstudie unter versicherten der Hamburg Münchener Krankenkasse
AU - Hüppe, A.
AU - Parow, D.
AU - Raspe, H.
PY - 2008/10
Y1 - 2008/10
N2 - Ziel: Um einer Gefährdung der sozialen Teilhabe bei Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 frühzeitig zu begegnen, wurde ein aktives Zugehen eines Trägers von Rehabilitationsleistungen auf potenziell rehabilitationsbedürftige Versicherte realisiert. Die Hamburg Münchener Krankenkasse (HMK) setzte dabei zur Rehabedarfsfeststellung den sogenannten Lübecker Algorithmus als Screeninginstrument ein. Versicherte mit einem komplexen Behandlungsbedarf erhielten mit der schriftlichen Rückmeldung ihres individuellen Problemprofils die Empfehlung, zusammen mit ihrem behandelnden Arzt die Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation zu erwägen (kurz als „InfoRat” bezeichnet). Wirksamkeit und Nutzen dieses Vorgehens sollte im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie evaluiert werden.Methodik: 30–70-jährige HMK-Versicherte in vier Bundesländern mit Hinweisen in der Datenbank auf eine Diabetes-Erkrankung (ICD E11–E14) wurden im Sommer 2006 angeschrieben. Bei (selbst) bestätigter Diabeteserkrankung und Studieneinwilligung wurde mithilfe eines Screeningfragebogens der Rehabilitationsbedarf ermittelt. Versicherte, bei denen aktuell fünf oder mehr unterschiedliche Behandlungen angezeigt schienen, wurden auf zwei Studienarme randomisiert: Teilnehmern der Interventionsgruppe (IG) wurde ihr individuelles Problemprofil zurückgemeldet und eine Reha-Empfehlung erteilt („InfoRat”). Für die Teilnehmer der Kontrollgruppe (KG) blieb es bei „usual care”. Zwölf Mona-te später fand eine postalische Katamnesebefragung aller Studienteilnehmer statt. Primäre Hauptzielgröße waren Parameter der (erlebten) sozialen Teilhabe. Sekundäre Outcomes bildeten krankheitsspezifische Problemkomponenten (z. B. Übergewicht) und von der Krankenkasse übermittelte Daten zu Krankhausaufenthalten und Arbeitsunfähigkeit (Fälle und Tage).Ergebnisse: 471 der 1 822 angeschriebenen Versicherten erfüllten die Einschlusskriterien, unter ihnen wurden 223 mit Rehabilitationsbedarf identifiziert und zufällig der IG oder der KG zugewiesen. Die Responserate zur 12-Monats-Katamnese betrug 82,5%. In der IG (n=91) nahmen 25% der Versicherten im Studienzeitraum an einer Rehabilitation wegen ihrer Diabeteserkrankung teil, in der KG (n=93) waren es mit 6% signifikant weniger (p=0,001). Die Intention to treat Analyse zeigte folgende Unterschiede zwischen den beiden Studienarmen: Die Anzahl Diabetes bedingter Beeinträchtigungstage reduzierte sich allein in der IG, in der KG stieg sie an (p=0,026). Im Unterschied zur KG reduzierte sich in der IG der aus den subjektiven Angaben zu Größe und Gewicht berechnete BMI-Wert (p=0,014), das Diabeteswissen nahm in der Tendenz stärker zu (p=0,053). Der Anteil an Versicherten mit problematischem Essverhalten sowie mit erhöhten Depressivitätswerten verringerte sich tendenziell stärker (p=0,053 bzw. p=0,067). Zur Katamnese war der allgemeine subjektive Gesundheitszustand in der IG besser (indirekte Veränderungsmessung p=0,081, direkte Veränderungsmessung p=0,024). Auswirkungen der InfoRat-Maßnahme auf Krankenhaus- bzw. Arbeitsunfähigkeitstage wie -fälle waren nicht beobachtbar.Schlussfolgerung: Die Ergebnisse sprechen für eine (wenn auch schwache) Wirksamkeit der eingesetzten „InfoRat”-Maßnahme, die auf selbstverantwortliche Eigenaktivität der Versicherten aufbaut. Der forschungsmethodische Ansatz einer Rekrutierung von Studienteilnehmern über die Analyse von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung und (nach erteilter Einwilligung) ihrer Randomisierung auf verschiedene Versorgungskonzepte erweist sich als umsetzbar. Wir empfehlen seine Anwendung auch bei der Überprüfung anderer Maßnahmen und Programme im Gesundheitswesen.
AB - Ziel: Um einer Gefährdung der sozialen Teilhabe bei Personen mit Diabetes mellitus Typ 2 frühzeitig zu begegnen, wurde ein aktives Zugehen eines Trägers von Rehabilitationsleistungen auf potenziell rehabilitationsbedürftige Versicherte realisiert. Die Hamburg Münchener Krankenkasse (HMK) setzte dabei zur Rehabedarfsfeststellung den sogenannten Lübecker Algorithmus als Screeninginstrument ein. Versicherte mit einem komplexen Behandlungsbedarf erhielten mit der schriftlichen Rückmeldung ihres individuellen Problemprofils die Empfehlung, zusammen mit ihrem behandelnden Arzt die Inanspruchnahme einer medizinischen Rehabilitation zu erwägen (kurz als „InfoRat” bezeichnet). Wirksamkeit und Nutzen dieses Vorgehens sollte im Rahmen einer randomisierten, kontrollierten Studie evaluiert werden.Methodik: 30–70-jährige HMK-Versicherte in vier Bundesländern mit Hinweisen in der Datenbank auf eine Diabetes-Erkrankung (ICD E11–E14) wurden im Sommer 2006 angeschrieben. Bei (selbst) bestätigter Diabeteserkrankung und Studieneinwilligung wurde mithilfe eines Screeningfragebogens der Rehabilitationsbedarf ermittelt. Versicherte, bei denen aktuell fünf oder mehr unterschiedliche Behandlungen angezeigt schienen, wurden auf zwei Studienarme randomisiert: Teilnehmern der Interventionsgruppe (IG) wurde ihr individuelles Problemprofil zurückgemeldet und eine Reha-Empfehlung erteilt („InfoRat”). Für die Teilnehmer der Kontrollgruppe (KG) blieb es bei „usual care”. Zwölf Mona-te später fand eine postalische Katamnesebefragung aller Studienteilnehmer statt. Primäre Hauptzielgröße waren Parameter der (erlebten) sozialen Teilhabe. Sekundäre Outcomes bildeten krankheitsspezifische Problemkomponenten (z. B. Übergewicht) und von der Krankenkasse übermittelte Daten zu Krankhausaufenthalten und Arbeitsunfähigkeit (Fälle und Tage).Ergebnisse: 471 der 1 822 angeschriebenen Versicherten erfüllten die Einschlusskriterien, unter ihnen wurden 223 mit Rehabilitationsbedarf identifiziert und zufällig der IG oder der KG zugewiesen. Die Responserate zur 12-Monats-Katamnese betrug 82,5%. In der IG (n=91) nahmen 25% der Versicherten im Studienzeitraum an einer Rehabilitation wegen ihrer Diabeteserkrankung teil, in der KG (n=93) waren es mit 6% signifikant weniger (p=0,001). Die Intention to treat Analyse zeigte folgende Unterschiede zwischen den beiden Studienarmen: Die Anzahl Diabetes bedingter Beeinträchtigungstage reduzierte sich allein in der IG, in der KG stieg sie an (p=0,026). Im Unterschied zur KG reduzierte sich in der IG der aus den subjektiven Angaben zu Größe und Gewicht berechnete BMI-Wert (p=0,014), das Diabeteswissen nahm in der Tendenz stärker zu (p=0,053). Der Anteil an Versicherten mit problematischem Essverhalten sowie mit erhöhten Depressivitätswerten verringerte sich tendenziell stärker (p=0,053 bzw. p=0,067). Zur Katamnese war der allgemeine subjektive Gesundheitszustand in der IG besser (indirekte Veränderungsmessung p=0,081, direkte Veränderungsmessung p=0,024). Auswirkungen der InfoRat-Maßnahme auf Krankenhaus- bzw. Arbeitsunfähigkeitstage wie -fälle waren nicht beobachtbar.Schlussfolgerung: Die Ergebnisse sprechen für eine (wenn auch schwache) Wirksamkeit der eingesetzten „InfoRat”-Maßnahme, die auf selbstverantwortliche Eigenaktivität der Versicherten aufbaut. Der forschungsmethodische Ansatz einer Rekrutierung von Studienteilnehmern über die Analyse von Routinedaten der Gesetzlichen Krankenversicherung und (nach erteilter Einwilligung) ihrer Randomisierung auf verschiedene Versorgungskonzepte erweist sich als umsetzbar. Wir empfehlen seine Anwendung auch bei der Überprüfung anderer Maßnahmen und Programme im Gesundheitswesen.
UR - http://www.scopus.com/inward/record.url?scp=55349093623&partnerID=8YFLogxK
U2 - 10.1055/s-0028-1086005
DO - 10.1055/s-0028-1086005
M3 - Zeitschriftenaufsätze
C2 - 18932120
AN - SCOPUS:55349093623
SN - 0941-3790
VL - 70
SP - 590
EP - 599
JO - Gesundheitswesen
JF - Gesundheitswesen
IS - 10
ER -