TY - JOUR
T1 - Rechtskreisübergreifendes Gesundheits- und Arbeitscoaching für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und hohem Risiko einer Erwerbsminderung
T2 - Ergebnisse einer Prozessevaluation
AU - Remus, Lea
AU - Grope, Marei
AU - Lemke, Stella
AU - Bethge, Matthias
N1 - Thieme. All rights reserved.
PY - 2025/7/17
Y1 - 2025/7/17
N2 - Ziel der Studie Das Gesundheits- und Arbeitscoaching des
„Hauses für Gesundheit und Arbeit“ in Hamburg bietet für Menschen
mit gefährdeter Erwerbsfähigkeit eine offene Anlaufstelle
für eine passgenaue Beratung und Begleitung, unabhängig
von Art und Umfang des Bedarfs und der gesetzlichen Zuständigkeit.
Das Coaching zielt auf den Erhalt oder die Wiederherstellung
der Erwerbsfähigkeit und die Vorbeugung einer Chronifizierung
von Erkrankungen oder drohenden Behinderung
ab. Unsere Prozessevaluation untersuchte die Umsetzung der
Intervention.
Methodik Die Daten der Analysen wurden 2021 im Rahmen
einer Mixed-Methods-Studie erhoben. Es wurde eine Fragebogenerhebung
zum Start und nach 12 Monaten durchgeführt,
um Veränderungen des Gesundheitszustands, der Erwerbsbeteiligung
und der Zufriedenheit mit der Intervention zu analysieren.
Ebenso fanden leitfadengestützte, problemzentrierte
Interviews mit Akteur*innen und Teilnehmer*innen statt, um
die verabreichte und erhaltene Dosis zu analysieren. Wir untersuchten
auch die erreichte Population.
Ergebnisse Von den 145 zur Befragung eingeladenen
Teilnehmer*innen füllten 56 % den ersten und 28 % den zweiten
Fragebogen aus. Über 85 % der Teilnehmer*innen blieben innerhalb
eines Jahres in Beschäftigung. Der Work Ability Score
stieg im Durchschnitt um zwei Punkte (p = 0,001, n = 36). Die
Depressions- und Angstwerte verringerten sich signifikant. Die
Teilnehmer*innen waren mit allen Interventionsangeboten auf
einem hohen Niveau zufrieden. Neun Projektakteur*innen und
vier Teilnehmer*innen wurden zur verabreichten und erhaltenen
Dosis interviewt. Die Akteur*innen benannten u. a. Angebote,
die sich auf die gesundheitliche und soziale Stabilisierung
zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit bezogen. Dies sollte durch
einen rechtskreisübergreifenden, niedrigschwelligen und
koordinierenden Beratungsansatz realisiert werden. Die
Teilnehmer*innen benannten die Unterstützung bei der Sicherung
ihrer Erwerbsfähigkeit sowie die Möglichkeiten zur beruflichen
Neu- und Umorientierung als zentrale Angebote.
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Artikel online verffentlicht: 17.07.2025
Remus L et al. Rechtskreisübergreifendes Gesundheits- und Arbeitscoaching … Rehabilitation | © 2025. Thieme. All rights reserved.
Originalarbeit
Einleitung
Teilhabe am Arbeitsleben ist eines der wichtigsten sozialpolitischen
Ziele. Erwerbsbeteiligung sichert nicht nur die Existenz, sondern ist
auch eine zentrale Ressource für soziale Teilhabe [1, 2]. Vor allem im
Bereich der psychischen Erkrankungen hat die Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen
und gesundheitsbedingten Frühberentungen in
den vergangenen Jahren deutlich zugenommen [3]. Für Menschen
mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gibt es in Deutschland
verschiedene Rehabilitations- und Unterstützungsangebote, um die
Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder eine Rückkehr an den Arbeitsplatz
zu ermöglichen. Diese werden von diversen Leistungserbringern vorgehalten
und von unterschiedlichen Leistungsträgern finanziert.
Häufig werden mehrere dieser Leistungen benötigt, wobei mit der
Rentenversicherung, den Jobcentern, der Agentur für Arbeit, den
Sozialhilfeträgern und der Krankenversicherung verschiedene Leistungsträger
involviert sein können [4]. Die Inanspruchnahme geeigneter
Maßnahmen kann für Personen eine enorme Vernetzungsaufgabe
darstellen, denn das Wissen über den eigenen Anspruch, die
Auswahl von Angeboten sowie die Finanzierung und Beantragung
erforderlicher Hilfen sind nicht immer unmittelbar ersichtlich [5].
Diese Unklarheit kann zu Verzögerung oder Verhinderung der Inanspruchnahme
führen [5]. Zwar sieht die Sozialgesetzgebung trägerübergreifende
Teilhabeplanungen vor, um ein koordiniertes Zusammenwirken
der Rehabilitationsträger zu erreichen, allerdings werden
diese in der Praxis kaum genutzt: Nur 0,4 % aller entschiedenen Anträge
erfolgten mit einer solchen Planung [6].
In den vergangenen Jahren wurden erfolgversprechende Faktoren
oder Barrieren für die berufliche Rückkehr psychisch erkrankter
Menschen in Deutschland untersucht [7–9]. International wurden
koordinierende Interventionen und individuell abgestimmte
Vermittlungs- und Beratungsangebote vorgeschlagen und implementiert
[10, 11].
Im Modellvorhaben „Haus für Gesundheit und Arbeit“ (HGuA;
https://hgua-hamburg.de/) wurde für die geschilderten Herausforderungen
im Rahmen des Förderprogramms rehapro vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales ein leicht zugängliches, leistungsträgerund
leistungserbringerübergreifendes Beratungsangebot in Form eines
Gesundheits- und Arbeitscoachings implementiert und erprobt. Unabhängig
der Art ihres Hilfebedarfs und der Zuständigkeit des Leistungsträgers
erhalten Menschen an einem Ort rechtskreisübergreifende
Beratungen und Leistungen. Zur Bewertung der Implementierung
wurde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Die dabei umgesetzte
Prozessevaluation sollte klären, wie und warum die Intervention funktioniert,
und analysierte die erreichte Zielgruppe, die erbrachte und erhaltene
Dosis sowie die Zufriedenheit der teilnehmenden Personen
[12, 13]. Wir adressierten folgende Fragestellungen.
1. Wie viele und welche Personen nahmen am Gesundheitsund
Arbeitscoaching im HGuA teil?
2. Mit welchen Angeboten waren die Akteur*innen im HGuA
vertreten?
3. Wie wurde die Umsetzung der Intervention aus Sicht der
Teilnehmenden wahrgenommen und wie zufrieden waren
diese mit den einzelnen Komponenten?
Schlussfolgerung Es wurde eine neue Maßnahme zur Unterstützung
von Personen mit gesundheitlicher Einschränkung und
gefährdeter beruflicher Teilhabe implementiert. Teilnehmer*innen
des Angebots waren zu Beginn des Angebots stark depressiv
und ängstlich belastet, jedoch zeigten sich positive Effekte während
der Begleitung. Die subjektive Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden
verbesserte sich deutlich. Im Coachingverlauf konnte
eine weitgehende Sicherung der Erwerbsverhältnisse beobachtet
werden. Das Modellvorhaben wird fortgesetzt und durch eine
beobachtende Mixed-Methods-Studie bewertet (https://www.
hgua-hamburg.de/).
AB - Ziel der Studie Das Gesundheits- und Arbeitscoaching des
„Hauses für Gesundheit und Arbeit“ in Hamburg bietet für Menschen
mit gefährdeter Erwerbsfähigkeit eine offene Anlaufstelle
für eine passgenaue Beratung und Begleitung, unabhängig
von Art und Umfang des Bedarfs und der gesetzlichen Zuständigkeit.
Das Coaching zielt auf den Erhalt oder die Wiederherstellung
der Erwerbsfähigkeit und die Vorbeugung einer Chronifizierung
von Erkrankungen oder drohenden Behinderung
ab. Unsere Prozessevaluation untersuchte die Umsetzung der
Intervention.
Methodik Die Daten der Analysen wurden 2021 im Rahmen
einer Mixed-Methods-Studie erhoben. Es wurde eine Fragebogenerhebung
zum Start und nach 12 Monaten durchgeführt,
um Veränderungen des Gesundheitszustands, der Erwerbsbeteiligung
und der Zufriedenheit mit der Intervention zu analysieren.
Ebenso fanden leitfadengestützte, problemzentrierte
Interviews mit Akteur*innen und Teilnehmer*innen statt, um
die verabreichte und erhaltene Dosis zu analysieren. Wir untersuchten
auch die erreichte Population.
Ergebnisse Von den 145 zur Befragung eingeladenen
Teilnehmer*innen füllten 56 % den ersten und 28 % den zweiten
Fragebogen aus. Über 85 % der Teilnehmer*innen blieben innerhalb
eines Jahres in Beschäftigung. Der Work Ability Score
stieg im Durchschnitt um zwei Punkte (p = 0,001, n = 36). Die
Depressions- und Angstwerte verringerten sich signifikant. Die
Teilnehmer*innen waren mit allen Interventionsangeboten auf
einem hohen Niveau zufrieden. Neun Projektakteur*innen und
vier Teilnehmer*innen wurden zur verabreichten und erhaltenen
Dosis interviewt. Die Akteur*innen benannten u. a. Angebote,
die sich auf die gesundheitliche und soziale Stabilisierung
zum Erhalt der Erwerbsfähigkeit bezogen. Dies sollte durch
einen rechtskreisübergreifenden, niedrigschwelligen und
koordinierenden Beratungsansatz realisiert werden. Die
Teilnehmer*innen benannten die Unterstützung bei der Sicherung
ihrer Erwerbsfähigkeit sowie die Möglichkeiten zur beruflichen
Neu- und Umorientierung als zentrale Angebote.
Dieses Dokument wurde zum persönlichen Gebrauch heruntergeladen. Vervielfältigung nur mit Zustimmung des Verlages.
Artikel online verffentlicht: 17.07.2025
Remus L et al. Rechtskreisübergreifendes Gesundheits- und Arbeitscoaching … Rehabilitation | © 2025. Thieme. All rights reserved.
Originalarbeit
Einleitung
Teilhabe am Arbeitsleben ist eines der wichtigsten sozialpolitischen
Ziele. Erwerbsbeteiligung sichert nicht nur die Existenz, sondern ist
auch eine zentrale Ressource für soziale Teilhabe [1, 2]. Vor allem im
Bereich der psychischen Erkrankungen hat die Anzahl von Arbeitsunfähigkeitstagen
und gesundheitsbedingten Frühberentungen in
den vergangenen Jahren deutlich zugenommen [3]. Für Menschen
mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen gibt es in Deutschland
verschiedene Rehabilitations- und Unterstützungsangebote, um die
Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder eine Rückkehr an den Arbeitsplatz
zu ermöglichen. Diese werden von diversen Leistungserbringern vorgehalten
und von unterschiedlichen Leistungsträgern finanziert.
Häufig werden mehrere dieser Leistungen benötigt, wobei mit der
Rentenversicherung, den Jobcentern, der Agentur für Arbeit, den
Sozialhilfeträgern und der Krankenversicherung verschiedene Leistungsträger
involviert sein können [4]. Die Inanspruchnahme geeigneter
Maßnahmen kann für Personen eine enorme Vernetzungsaufgabe
darstellen, denn das Wissen über den eigenen Anspruch, die
Auswahl von Angeboten sowie die Finanzierung und Beantragung
erforderlicher Hilfen sind nicht immer unmittelbar ersichtlich [5].
Diese Unklarheit kann zu Verzögerung oder Verhinderung der Inanspruchnahme
führen [5]. Zwar sieht die Sozialgesetzgebung trägerübergreifende
Teilhabeplanungen vor, um ein koordiniertes Zusammenwirken
der Rehabilitationsträger zu erreichen, allerdings werden
diese in der Praxis kaum genutzt: Nur 0,4 % aller entschiedenen Anträge
erfolgten mit einer solchen Planung [6].
In den vergangenen Jahren wurden erfolgversprechende Faktoren
oder Barrieren für die berufliche Rückkehr psychisch erkrankter
Menschen in Deutschland untersucht [7–9]. International wurden
koordinierende Interventionen und individuell abgestimmte
Vermittlungs- und Beratungsangebote vorgeschlagen und implementiert
[10, 11].
Im Modellvorhaben „Haus für Gesundheit und Arbeit“ (HGuA;
https://hgua-hamburg.de/) wurde für die geschilderten Herausforderungen
im Rahmen des Förderprogramms rehapro vom Bundesministerium
für Arbeit und Soziales ein leicht zugängliches, leistungsträgerund
leistungserbringerübergreifendes Beratungsangebot in Form eines
Gesundheits- und Arbeitscoachings implementiert und erprobt. Unabhängig
der Art ihres Hilfebedarfs und der Zuständigkeit des Leistungsträgers
erhalten Menschen an einem Ort rechtskreisübergreifende
Beratungen und Leistungen. Zur Bewertung der Implementierung
wurde eine Machbarkeitsstudie durchgeführt. Die dabei umgesetzte
Prozessevaluation sollte klären, wie und warum die Intervention funktioniert,
und analysierte die erreichte Zielgruppe, die erbrachte und erhaltene
Dosis sowie die Zufriedenheit der teilnehmenden Personen
[12, 13]. Wir adressierten folgende Fragestellungen.
1. Wie viele und welche Personen nahmen am Gesundheitsund
Arbeitscoaching im HGuA teil?
2. Mit welchen Angeboten waren die Akteur*innen im HGuA
vertreten?
3. Wie wurde die Umsetzung der Intervention aus Sicht der
Teilnehmenden wahrgenommen und wie zufrieden waren
diese mit den einzelnen Komponenten?
Schlussfolgerung Es wurde eine neue Maßnahme zur Unterstützung
von Personen mit gesundheitlicher Einschränkung und
gefährdeter beruflicher Teilhabe implementiert. Teilnehmer*innen
des Angebots waren zu Beginn des Angebots stark depressiv
und ängstlich belastet, jedoch zeigten sich positive Effekte während
der Begleitung. Die subjektive Arbeitsfähigkeit der Teilnehmenden
verbesserte sich deutlich. Im Coachingverlauf konnte
eine weitgehende Sicherung der Erwerbsverhältnisse beobachtet
werden. Das Modellvorhaben wird fortgesetzt und durch eine
beobachtende Mixed-Methods-Studie bewertet (https://www.
hgua-hamburg.de/).
U2 - 10.1055/a-2641-4843
DO - 10.1055/a-2641-4843
M3 - Zeitschriftenaufsätze
C2 - 40675567
SN - 0034-3536
JO - Die Rehabilitation
JF - Die Rehabilitation
ER -