Abstract
Über lange Zeit standen sich Neurowissenschaftler und Psychotherapieforscher skeptisch bis feindlich gegenüber. Statt eines konstruktiven Dialogs fand meist eher eine Diskreditierung des jeweils anderen Lagers statt. Dies hat sich in den letzten Jahren gründlich gewandelt. Die reziproke Interaktion zwischen neurobiologischen und psychologischen Faktoren findet sowohl bei den Neurowissenschaftlern als auch bei den Psychotherapeuten immer größeres Interesse. Hierfür gibt es mehrere Gründe.
Zum einen ermöglichen neurobiologische, d. h. vorrangig bildgebende Untersuchungsmethoden Einblicke in unbewusste Prozesse. Damit ergibt sich für die wissenschaftliche Psychoanalyse die Möglichkeit, Grundlagen und Konzeptbildung empirisch zu untersuchen und die Rolle unbewusster Prozesse bei kognitiven, emotionalen und motorischen Vorgängen zu ergründen [1].
Zum anderen erklären neurobiologische Befunde, warum ungünstige Bedingungen in der Kindheit nachhaltige Effekte auf die seelische Gesundheit im Erwachsenenalter haben. Separationsexperimente an Nagetieren zeigen, dass wiederholte kurzzeitige Trennung vom Muttertier zu einer verminderten Entwicklung von Dendritenfortsätzen im anterioren Cingulum führt, also in einer Region, die für die Emotionsregulation von großer Bedeutung ist [2]. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass Ratten, die von ihren Muttertieren intensiv versorgt wurden, eine verminderte Stressreaktion des HPA-Systems auf Restraint-Stress aufwiesen [3]. Dabei zeigte die Kortikosteron-Sekretion in Belastungssituationen eine direkte Korrelation mit der Intensität von Pflegeverhalten des Muttertiers in der kindlichen Entwicklungsphase. Eine gesteigerte Stressantwort des HPA-Systems bei Ratten nach Trennung von den Muttertieren in der Kindheit konnte durch spezielle günstige Umweltbedingungen (environmental enrichment) teilweise rückgängig gemacht werden [4]. Somit können neurowissenschaftliche tierexperimentelle Befunde zeigen, dass die Beziehungsgestaltung in frühen Entwicklungsphasen die neuronale Struktur und Reagibilität des Gehirns entscheidend prägt.
Durch bildgebende Verfahren konnten weiterhin Korrelate kognitiver oder emotionaler Prozesse dargestellt werden, die durch Psychotherapie oder Pharmakotherapie verändert werden. Besonders eindrücklich konnte dies bei Patienten mit Zwangsstörungen gezeigt werden, bei denen eine Überaktivität des fronto-striato-thalamischen Regelkreises, der durch Konfrontation mit zwangsauslösenden Stimuli noch einmal weiter aktiviert werden kann, gut belegt werden konnte. Erfolgreiche kognitive Verhaltenstherapie war in mehreren Studien in der Lage, bei den Therapie-Respondern den fronto-striato-thalamischen Regelkreis wieder herunterzuregulieren [5] [6].
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Psychotherapie neurobiologische Regelkreise modifiziert, wie auch eine eigene Untersuchung an Zwangspatienten mithilfe der Protonenkernspinspektroskopie belegen konnte [7]. Dabei findet das differenzielle Ansprechen von Psychotherapie gegenüber der Pharmakotherapie besondere Beachtung [8].
Neurobiologische Normabweichungen im zentralen Nervensystem können weiterhin als Prädiktoren für positiven oder negativen Therapieverlauf herangezogen werden, wie dies bei depressiven Patienten anhand der Reaktivität des Cingulums und der Agmygdala gezeigt werden konnte [9]. Dass neurobiologische Abweichungen wie hohe Kortisolkonzentrationen die Konsolidierung von deklarativen Gedächtnisinhalten und damit psychotherapeutischer Lernerfolge beeinflusst, konnten wir in einer Schlaf-EEG-Studie belegen [10].
Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich scheinbar gegensätzliche Wissenschaftsbereiche wie Neurowissenschaften und Psychotherapieforschung wieder in einem engen Austausch befinden, und dass dieser Dialog zu einer Bereicherung unserer wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten beiträgt.
Prof. Dr. Fritz Hohagen
Zum einen ermöglichen neurobiologische, d. h. vorrangig bildgebende Untersuchungsmethoden Einblicke in unbewusste Prozesse. Damit ergibt sich für die wissenschaftliche Psychoanalyse die Möglichkeit, Grundlagen und Konzeptbildung empirisch zu untersuchen und die Rolle unbewusster Prozesse bei kognitiven, emotionalen und motorischen Vorgängen zu ergründen [1].
Zum anderen erklären neurobiologische Befunde, warum ungünstige Bedingungen in der Kindheit nachhaltige Effekte auf die seelische Gesundheit im Erwachsenenalter haben. Separationsexperimente an Nagetieren zeigen, dass wiederholte kurzzeitige Trennung vom Muttertier zu einer verminderten Entwicklung von Dendritenfortsätzen im anterioren Cingulum führt, also in einer Region, die für die Emotionsregulation von großer Bedeutung ist [2]. Umgekehrt konnte gezeigt werden, dass Ratten, die von ihren Muttertieren intensiv versorgt wurden, eine verminderte Stressreaktion des HPA-Systems auf Restraint-Stress aufwiesen [3]. Dabei zeigte die Kortikosteron-Sekretion in Belastungssituationen eine direkte Korrelation mit der Intensität von Pflegeverhalten des Muttertiers in der kindlichen Entwicklungsphase. Eine gesteigerte Stressantwort des HPA-Systems bei Ratten nach Trennung von den Muttertieren in der Kindheit konnte durch spezielle günstige Umweltbedingungen (environmental enrichment) teilweise rückgängig gemacht werden [4]. Somit können neurowissenschaftliche tierexperimentelle Befunde zeigen, dass die Beziehungsgestaltung in frühen Entwicklungsphasen die neuronale Struktur und Reagibilität des Gehirns entscheidend prägt.
Durch bildgebende Verfahren konnten weiterhin Korrelate kognitiver oder emotionaler Prozesse dargestellt werden, die durch Psychotherapie oder Pharmakotherapie verändert werden. Besonders eindrücklich konnte dies bei Patienten mit Zwangsstörungen gezeigt werden, bei denen eine Überaktivität des fronto-striato-thalamischen Regelkreises, der durch Konfrontation mit zwangsauslösenden Stimuli noch einmal weiter aktiviert werden kann, gut belegt werden konnte. Erfolgreiche kognitive Verhaltenstherapie war in mehreren Studien in der Lage, bei den Therapie-Respondern den fronto-striato-thalamischen Regelkreis wieder herunterzuregulieren [5] [6].
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Psychotherapie neurobiologische Regelkreise modifiziert, wie auch eine eigene Untersuchung an Zwangspatienten mithilfe der Protonenkernspinspektroskopie belegen konnte [7]. Dabei findet das differenzielle Ansprechen von Psychotherapie gegenüber der Pharmakotherapie besondere Beachtung [8].
Neurobiologische Normabweichungen im zentralen Nervensystem können weiterhin als Prädiktoren für positiven oder negativen Therapieverlauf herangezogen werden, wie dies bei depressiven Patienten anhand der Reaktivität des Cingulums und der Agmygdala gezeigt werden konnte [9]. Dass neurobiologische Abweichungen wie hohe Kortisolkonzentrationen die Konsolidierung von deklarativen Gedächtnisinhalten und damit psychotherapeutischer Lernerfolge beeinflusst, konnten wir in einer Schlaf-EEG-Studie belegen [10].
Zusammenfassend kann man feststellen, dass sich scheinbar gegensätzliche Wissenschaftsbereiche wie Neurowissenschaften und Psychotherapieforschung wieder in einem engen Austausch befinden, und dass dieser Dialog zu einer Bereicherung unserer wissenschaftlichen Erkenntnismöglichkeiten beiträgt.
Prof. Dr. Fritz Hohagen
Translated title of the contribution | Neuroscience and psychotherapy two apparent antipods approach one another |
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Original language | German |
Journal | Fortschritte der Neurologie Psychiatrie |
Volume | 78 |
Issue number | 6 |
Pages (from-to) | 317-318 |
Number of pages | 2 |
ISSN | 0720-4299 |
DOIs | |
Publication status | Published - 2010 |
Research Areas and Centers
- Academic Focus: Center for Brain, Behavior and Metabolism (CBBM)