TY - JOUR
T1 - Medizinische Behandlungsmethoden: Was macht sie medizinisch notwendig? Teil I: Medizinische Methoden, medizinische Notwendigkeit und ihre Hauptkriterien
AU - Raspe, Heiner
AU - Friedrich, Daniel R.
AU - Harney, Anke
AU - Huster, Stefan
AU - Schoene-Seifert, Bettina
N1 - Publisher Copyright:
© 2019 Georg Thieme Verlag KG Stuttgart • New York.
PY - 2019
Y1 - 2019
N2 - Ziel der Studie „Medizinische Notwendigkeit“ (MedN) ist ein unscharfer Begriff. Ziel unseres Projekts ist es, ihn zwischen Medizinethik, Sozialrecht und Sozialmedizin so zu konkretisieren, dass er sich für die Versorgungssteuerung v. a. im Bereich der GKV eignet. In einer ersten Publikation wurde MedN als dreistelliger Begriff identifiziert: Ein bestimmter klinischer Zustand erfordert, um ein bestimmtes medizinisches Ziel zu erreichen, eine bestimmte medizinische Methode. Im folgenden zweiteiligen Text werden Kriterien gesucht und diskutiert, die medizinische Methoden als medizinisch generell notwendig (medn) bestimmen lassen. Dabei werden ein nicht-trivialer klinischer Zustand und ein relevantes, legitimes und erreichbares Behandlungsziel als gegeben vorausgesetzt. Hier präsentieren wir den ersten Teil unserer Überlegungen und Ergebnisse.Methodik Auf der Basis einer umfangreichen medizinethischen, sozialrechtlichen und sozialmedizinischen Literatur und ausgehend von einem unstrittigen Fall (Thrombolyse bei akutem Schlaganfall) bedienten wir uns generell eines kritisch-rekonstruktiven Vorgehens. Zuerst präzisierten wir den Begriff der „medizinischen Methode“. Wir prüften dann in mehreren interdisziplinären Diskussionsrunden, welche kriteriellen Anleihen wir bei drei Systemen der Versorgungssteuerung machen könnten: bei Methoden zur Entwicklung klinischer Praxisleitlinien als Kompendien von Indikationsregeln, beim nationalen Priorisierungsprogramm des schwedischen Systems der medizinischen Versorgung und beim HTA Core Model des European Networks for Health Technology Assessments als Instrument der Politikberatung.Ergebnisse Als die 2 „medizinischen“ Hauptkriterien der MedN von medizinischen Methoden bestimmten wir deren generelle klinische Wirksamkeit und deren Nützlichkeit (Nettonutzen). Als drittes – epistemisches – Kriterium ist obligat die jeweilige Evidenzlage zu berücksichtigen. Der Rückgriff auf die Leitlinienentwicklung und das Priorisierungsprogramm führte zu der Frage, ob MedN als binärer oder gradueller Begriff zu fassen ist. In Übereinstimmung mit SGB V plädieren wir dafür, bei der dort unterstellten Dichotomie (medn ja/nein) zu bleiben. Weitere Diskussionen gelten multifaktoriellen MedN-Konstellationen, der Reichweite des MedN-Begriffs und der Variabilität von Evidenzanforderungen.Schlussfolgerungen Wie immer MedN inhaltlich konkretisiert wird, es erscheint ausgeschlossen, die schließlich zu operationalisierenden und abzuwägenden Kriterien in einen Algorithmus einzustellen. Auf jeder Stufe der Entwicklung eines Programms zur Prüfung medizinischer Methoden auf MedN sind deliberative Anstrengungen unumgänglich.
AB - Ziel der Studie „Medizinische Notwendigkeit“ (MedN) ist ein unscharfer Begriff. Ziel unseres Projekts ist es, ihn zwischen Medizinethik, Sozialrecht und Sozialmedizin so zu konkretisieren, dass er sich für die Versorgungssteuerung v. a. im Bereich der GKV eignet. In einer ersten Publikation wurde MedN als dreistelliger Begriff identifiziert: Ein bestimmter klinischer Zustand erfordert, um ein bestimmtes medizinisches Ziel zu erreichen, eine bestimmte medizinische Methode. Im folgenden zweiteiligen Text werden Kriterien gesucht und diskutiert, die medizinische Methoden als medizinisch generell notwendig (medn) bestimmen lassen. Dabei werden ein nicht-trivialer klinischer Zustand und ein relevantes, legitimes und erreichbares Behandlungsziel als gegeben vorausgesetzt. Hier präsentieren wir den ersten Teil unserer Überlegungen und Ergebnisse.Methodik Auf der Basis einer umfangreichen medizinethischen, sozialrechtlichen und sozialmedizinischen Literatur und ausgehend von einem unstrittigen Fall (Thrombolyse bei akutem Schlaganfall) bedienten wir uns generell eines kritisch-rekonstruktiven Vorgehens. Zuerst präzisierten wir den Begriff der „medizinischen Methode“. Wir prüften dann in mehreren interdisziplinären Diskussionsrunden, welche kriteriellen Anleihen wir bei drei Systemen der Versorgungssteuerung machen könnten: bei Methoden zur Entwicklung klinischer Praxisleitlinien als Kompendien von Indikationsregeln, beim nationalen Priorisierungsprogramm des schwedischen Systems der medizinischen Versorgung und beim HTA Core Model des European Networks for Health Technology Assessments als Instrument der Politikberatung.Ergebnisse Als die 2 „medizinischen“ Hauptkriterien der MedN von medizinischen Methoden bestimmten wir deren generelle klinische Wirksamkeit und deren Nützlichkeit (Nettonutzen). Als drittes – epistemisches – Kriterium ist obligat die jeweilige Evidenzlage zu berücksichtigen. Der Rückgriff auf die Leitlinienentwicklung und das Priorisierungsprogramm führte zu der Frage, ob MedN als binärer oder gradueller Begriff zu fassen ist. In Übereinstimmung mit SGB V plädieren wir dafür, bei der dort unterstellten Dichotomie (medn ja/nein) zu bleiben. Weitere Diskussionen gelten multifaktoriellen MedN-Konstellationen, der Reichweite des MedN-Begriffs und der Variabilität von Evidenzanforderungen.Schlussfolgerungen Wie immer MedN inhaltlich konkretisiert wird, es erscheint ausgeschlossen, die schließlich zu operationalisierenden und abzuwägenden Kriterien in einen Algorithmus einzustellen. Auf jeder Stufe der Entwicklung eines Programms zur Prüfung medizinischer Methoden auf MedN sind deliberative Anstrengungen unumgänglich.
UR - http://www.scopus.com/inward/record.url?scp=85075336560&partnerID=8YFLogxK
U2 - 10.1055/a-0965-6866
DO - 10.1055/a-0965-6866
M3 - Zeitschriftenaufsätze
C2 - 31614386
AN - SCOPUS:85075336560
SN - 0941-3790
VL - 81
SP - 933
EP - 944
JO - Gesundheitswesen
JF - Gesundheitswesen
IS - 11
ER -