Abstract
Prof. Dr. med. Fritz Hohagen
In jüngster Zeit hat der für alle völlig unerwartete Beschluss der Landesregierung Schleswig-Holstein, im Rahmen eines Sparpakets die Medizinerausbildung an der Universität zu Lübeck zu schließen, bundesweit Schlagzeilen gemacht und die größte Protestwelle der Nachkriegszeit in Schleswig-Holstein ausgelöst. Angesichts der desaströsen finanziellen Situation des Landes sollten durch die Schließung der Medizinerausbildung ab 2015 ca. 25 Mio. Euro pro Jahr eingespart werden. Da die Medizinerausbildung das Kernelement der kleinen Schwerpunktuniversität zu Lübeck darstellt, wäre ihre Schließung der Abwicklung der Gesamtuniversität gleichgekommen, da alle Studiengänge bis auf Informatik nur in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät akkreditiert sind und die Rest-Uni ohne Medizinerausbildung nicht überlebensfähig wäre. Was hätte die drohende Schließung des Medizinstudiengangs bzw. das Ende der Universität bedeutet? Das medizintechnische Profil der Uni hatte zu zahlreichen Firmenausgründungen geführt (28 allein im 1. Halbjahr 2010), sodass aus ihr heraus viele neue Arbeitsplätze entstanden sind. Es bestehen enge Kooperationen zu über 1000 medizintechnischen Unternehmen (23 000 Mitarbeiter, Gesamtumsatz 4 Mrd. Euro, Gewerbeertrag 130 Mio. Euro). Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer ergab, dass ca. 30 % dieser Unternehmen bei einer Schließung abgewandert wären. Der wirtschaftliche Schaden für die strukturschwache Region wäre verheerend und weit größer als das Einsparvolumen von 25 Mio. Euro gewesen. Neben ihrer „Motorfunktion” für die medizintechnische Entwicklung der Region ist die Universität Anziehungspunkt für die Ansiedlung junger Familien in einer von Wirtschaftskrise und Alterungsprozess stark betroffenen Stadt. Darüber hinaus rekrutieren umliegende Betriebe und Kliniken ihren Nachwuchs aus der Universität. Politisch gar nicht zu vermitteln war die Schließung der Medizinerausbildung angesichts des weiter zunehmenden Ärztemangels in Deutschland, zumal die Lübecker Medizinische Fakultät über Jahre im CHE-Ranking den 1. Platz belegte. Ausgerechnet die bestevaluierte Medizinerausbildung in Deutschland zu schließen, stieß auch im Bundesministerium für Bildung und Forschung auf Unverständnis und widersprach den Plänen der Bundesregierung, zusätzliche Medizinstudienplätze zu schaffen. Außerdem ist die Universität zu Lübeck zurzeit mit zwei Sonderforschungsbereichen, zwei klinischen Forschergruppen, einem Graduiertenkolleg und weiteren BMBF- und DFG-Forschungsstrukturen wissenschaftlich außerordentlich erfolgreich. Sowohl im SFB als auch in der Klinischen Forschergruppe „Selfish Brain – Gehirnglukose und Metabolisches Syndrom” sind die psychosozialen Fächer entscheidend beteiligt, sodass eine Schließung der Uni die psychosomatische und psychiatrische Forschung entscheidend geschwächt hätte. Die Entscheidung der Landesregierung führte zu einer in Schleswig-Holstein noch nie erlebten Protestwelle. In zwei Großdemonstrationen mit 14 000 Teilnehmern in Kiel und 9000 Teilnehmern in Lübeck (bei 2500 Medizinstudenten) wehrte sich die Bevölkerung gegen die Sparvorschläge, da sie verstand, was das für die Region bedeutet hätte. Die Solidarität war überwältigend, Lübeck war „gelb geflaggt” (die Farbe der Widerstandsaktion), und es war kaum möglich, ein Geschäft in Lübeck zu verlassen, ohne sich in Unterschriftenlisten einzutragen. Ca. 160 000 Unterschriften kamen so zusammen. Der energische lokale Widerstand zusammen mit den Protesten der Bundespolitik und der akademischen Vertretungen und die wegbrechende Mehrheit im Landesparlament führten schließlich dazu, dass die Regierung den Sparbeschluss nicht aufrechterhalten konnte. Entscheidend dürfte die Intervention von Bundesbildungsministerin Frau Schavan gewesen sein, die über Umwege die Einsparsumme von ca. 24 Mio. Euro pro Jahr dem Land zur Verfügung stellte.
Warum ist Lübeck überall? Weil kleinere Universitätsstandorte bei der zurzeit katastrophalen Länder-Finanzlage zur Disposition stehen. Längst diskutieren andere Landesregierungen Schließungspläne, sodass die erfolgreiche Rettung der Universität zu Lübeck auch von bundespolitischer Bedeutung war. Im „Ernstfall” müssen sich betroffene Fakultäten eng mit regionaler Industrie und Bevölkerung vernetzen, damit der Widerstand Erfolg hat. Die Schließung einer Universität ist ein einschneidender Vorgang für jede Region. Darauf muss nachdrücklich hingewiesen werden. Gefährdete Fakultäten sollten sich vorbereiten, indem sie sich eng mit regionalen Partnern vernetzen, die finanziellen Sekundärschäden einer Schließung schon jetzt berechnen, um der Politik nachzuweisen, dass die Folgekosten oft deutlich höher sind als die zu erwartenden Einsparungen. Universitäten sind nicht nur Orte für Forschung, Lehre und Patientenversorgung, sondern auch Motor für ganze Regionen und prägen deren kulturelles und intellektuelles Klima. Forschung und Bildung dürfen keine Opfer verfehlter Finanzpolitik sein und sind genauso „systemrelevant” wie Großbanken oder Unternehmen, die von Landes- und Bundespolitik finanziell großzügigst ausgestattet werden.
In jüngster Zeit hat der für alle völlig unerwartete Beschluss der Landesregierung Schleswig-Holstein, im Rahmen eines Sparpakets die Medizinerausbildung an der Universität zu Lübeck zu schließen, bundesweit Schlagzeilen gemacht und die größte Protestwelle der Nachkriegszeit in Schleswig-Holstein ausgelöst. Angesichts der desaströsen finanziellen Situation des Landes sollten durch die Schließung der Medizinerausbildung ab 2015 ca. 25 Mio. Euro pro Jahr eingespart werden. Da die Medizinerausbildung das Kernelement der kleinen Schwerpunktuniversität zu Lübeck darstellt, wäre ihre Schließung der Abwicklung der Gesamtuniversität gleichgekommen, da alle Studiengänge bis auf Informatik nur in Zusammenarbeit mit der Medizinischen Fakultät akkreditiert sind und die Rest-Uni ohne Medizinerausbildung nicht überlebensfähig wäre. Was hätte die drohende Schließung des Medizinstudiengangs bzw. das Ende der Universität bedeutet? Das medizintechnische Profil der Uni hatte zu zahlreichen Firmenausgründungen geführt (28 allein im 1. Halbjahr 2010), sodass aus ihr heraus viele neue Arbeitsplätze entstanden sind. Es bestehen enge Kooperationen zu über 1000 medizintechnischen Unternehmen (23 000 Mitarbeiter, Gesamtumsatz 4 Mrd. Euro, Gewerbeertrag 130 Mio. Euro). Eine Umfrage der Industrie- und Handelskammer ergab, dass ca. 30 % dieser Unternehmen bei einer Schließung abgewandert wären. Der wirtschaftliche Schaden für die strukturschwache Region wäre verheerend und weit größer als das Einsparvolumen von 25 Mio. Euro gewesen. Neben ihrer „Motorfunktion” für die medizintechnische Entwicklung der Region ist die Universität Anziehungspunkt für die Ansiedlung junger Familien in einer von Wirtschaftskrise und Alterungsprozess stark betroffenen Stadt. Darüber hinaus rekrutieren umliegende Betriebe und Kliniken ihren Nachwuchs aus der Universität. Politisch gar nicht zu vermitteln war die Schließung der Medizinerausbildung angesichts des weiter zunehmenden Ärztemangels in Deutschland, zumal die Lübecker Medizinische Fakultät über Jahre im CHE-Ranking den 1. Platz belegte. Ausgerechnet die bestevaluierte Medizinerausbildung in Deutschland zu schließen, stieß auch im Bundesministerium für Bildung und Forschung auf Unverständnis und widersprach den Plänen der Bundesregierung, zusätzliche Medizinstudienplätze zu schaffen. Außerdem ist die Universität zu Lübeck zurzeit mit zwei Sonderforschungsbereichen, zwei klinischen Forschergruppen, einem Graduiertenkolleg und weiteren BMBF- und DFG-Forschungsstrukturen wissenschaftlich außerordentlich erfolgreich. Sowohl im SFB als auch in der Klinischen Forschergruppe „Selfish Brain – Gehirnglukose und Metabolisches Syndrom” sind die psychosozialen Fächer entscheidend beteiligt, sodass eine Schließung der Uni die psychosomatische und psychiatrische Forschung entscheidend geschwächt hätte. Die Entscheidung der Landesregierung führte zu einer in Schleswig-Holstein noch nie erlebten Protestwelle. In zwei Großdemonstrationen mit 14 000 Teilnehmern in Kiel und 9000 Teilnehmern in Lübeck (bei 2500 Medizinstudenten) wehrte sich die Bevölkerung gegen die Sparvorschläge, da sie verstand, was das für die Region bedeutet hätte. Die Solidarität war überwältigend, Lübeck war „gelb geflaggt” (die Farbe der Widerstandsaktion), und es war kaum möglich, ein Geschäft in Lübeck zu verlassen, ohne sich in Unterschriftenlisten einzutragen. Ca. 160 000 Unterschriften kamen so zusammen. Der energische lokale Widerstand zusammen mit den Protesten der Bundespolitik und der akademischen Vertretungen und die wegbrechende Mehrheit im Landesparlament führten schließlich dazu, dass die Regierung den Sparbeschluss nicht aufrechterhalten konnte. Entscheidend dürfte die Intervention von Bundesbildungsministerin Frau Schavan gewesen sein, die über Umwege die Einsparsumme von ca. 24 Mio. Euro pro Jahr dem Land zur Verfügung stellte.
Warum ist Lübeck überall? Weil kleinere Universitätsstandorte bei der zurzeit katastrophalen Länder-Finanzlage zur Disposition stehen. Längst diskutieren andere Landesregierungen Schließungspläne, sodass die erfolgreiche Rettung der Universität zu Lübeck auch von bundespolitischer Bedeutung war. Im „Ernstfall” müssen sich betroffene Fakultäten eng mit regionaler Industrie und Bevölkerung vernetzen, damit der Widerstand Erfolg hat. Die Schließung einer Universität ist ein einschneidender Vorgang für jede Region. Darauf muss nachdrücklich hingewiesen werden. Gefährdete Fakultäten sollten sich vorbereiten, indem sie sich eng mit regionalen Partnern vernetzen, die finanziellen Sekundärschäden einer Schließung schon jetzt berechnen, um der Politik nachzuweisen, dass die Folgekosten oft deutlich höher sind als die zu erwartenden Einsparungen. Universitäten sind nicht nur Orte für Forschung, Lehre und Patientenversorgung, sondern auch Motor für ganze Regionen und prägen deren kulturelles und intellektuelles Klima. Forschung und Bildung dürfen keine Opfer verfehlter Finanzpolitik sein und sind genauso „systemrelevant” wie Großbanken oder Unternehmen, die von Landes- und Bundespolitik finanziell großzügigst ausgestattet werden.
Translated title of the contribution | Lübeck is everywhere" |
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Original language | German |
Journal | PPmP Psychotherapie Psychosomatik Medizinische Psychologie |
Volume | 60 |
Issue number | 9-10 |
Pages (from-to) | 333 |
Number of pages | 1 |
ISSN | 0937-2032 |
DOIs | |
Publication status | Published - 2010 |
Research Areas and Centers
- Academic Focus: Center for Brain, Behavior and Metabolism (CBBM)