TY - JOUR
T1 - Gewalterfahrung in der kindheit - Risiken und gesundheitliche folgen
AU - Thyen, Ute
AU - Kirchhofer, F.
AU - Wattam, C.
N1 - Copyright:
Copyright 2019 Elsevier B.V., All rights reserved.
PY - 2000/6
Y1 - 2000/6
N2 - Fragestellung: Darstellung der Überschneidungen verschiedener Formen von Gewalterfahrung in der Kindheit, Abschätzung des Schweregrads der körperlichen, sexuellen oder seelischen Misshandlung oder Vernachlässigung, der gesundheitlichen Folgen, der Komorbidität und bedeutsamer Risikofaktoren, die zu Kindesmisshandlung und Vernachlässigung führen.Methoden: Zwischen Januar und Juni 1997 wurden prospektiv alle neu gemeldeten Fälle in elf deutschen Kinderschutz- Zentren mit Hilfe eines standardisierten Erhebungsbogens durch die Mitarbeiter/innen dokumentiert und anonymisiert zentral ausgewertet.Ergebnisse: Berichtet wurden 263 Kinder aus 251 Familien. Die Mehrzahl der betroffenen Kinder war unter zehn Jahre alt, 63 % waren Mädchen, 37 % Jungen. Von den gemeldeten Kindern und Jugendlichen hatten 134 sexuelle Misshandlung mit Körperkontakt, 20 sexuelle Misshandlung ohne Kontakt, 77 körperliche Misshandlung, 62 emotionale Misshandlung und 99 Vernachlässigung erlitten (Mehrfachnennungen möglich). Die Überschneidungen der verschiedenen Misshandlungsformen war erheblich, zahlreiche Kinder hatten mehr als eine, über ein Zehntel mehr als zwei Misshandlungsformen erlitten. Die Mehrzahl der Fälle wurde als schwer und/oder chronisch eingeschätzt. Die überwiegende Zahl der Kinder und Jugendlichen litten unter einer emotionalen Belastung oder posttraumatischem Stress, während langfristige körperliche Folgen seltener berichtet wurden. Intrafamiliäre Beziehungsprobleme und emotionale Störungen der Bezugspersonen wurden als für die Misshandlung oder Vernachlässigung in der Regel als bedeutsamer angesehen als sozioökonomische Faktoren. Bei 55 % der Kinder und Jugendlichen wurde eine Störung der sozialen und emotionalen Entwicklung festgestellt, bei über einem Viertel eine Entwicklungsretardierung.Schlussfolgerung:Die derzeit gebräuchliche Klassifikation verschiedener Misshandlungsformen kann nicht die Komplexität der Gewalterfahrungen in der Kindheit abbilden; zukünftige Forschungsstrategien sollten sich an den körperlichen, seelischen und sozialen Folgen der Misshandlungen oder Vernachlässigungen orientieren und die Ursachen und verantwortlichen Handlungen und Unterlassungen in einem multifaktoriellen Design berücksichtigen. Prospektive Studien sind notwendig, um spezifische Effekte verschiedener Gewalterfahrungen zu erfassen.
AB - Fragestellung: Darstellung der Überschneidungen verschiedener Formen von Gewalterfahrung in der Kindheit, Abschätzung des Schweregrads der körperlichen, sexuellen oder seelischen Misshandlung oder Vernachlässigung, der gesundheitlichen Folgen, der Komorbidität und bedeutsamer Risikofaktoren, die zu Kindesmisshandlung und Vernachlässigung führen.Methoden: Zwischen Januar und Juni 1997 wurden prospektiv alle neu gemeldeten Fälle in elf deutschen Kinderschutz- Zentren mit Hilfe eines standardisierten Erhebungsbogens durch die Mitarbeiter/innen dokumentiert und anonymisiert zentral ausgewertet.Ergebnisse: Berichtet wurden 263 Kinder aus 251 Familien. Die Mehrzahl der betroffenen Kinder war unter zehn Jahre alt, 63 % waren Mädchen, 37 % Jungen. Von den gemeldeten Kindern und Jugendlichen hatten 134 sexuelle Misshandlung mit Körperkontakt, 20 sexuelle Misshandlung ohne Kontakt, 77 körperliche Misshandlung, 62 emotionale Misshandlung und 99 Vernachlässigung erlitten (Mehrfachnennungen möglich). Die Überschneidungen der verschiedenen Misshandlungsformen war erheblich, zahlreiche Kinder hatten mehr als eine, über ein Zehntel mehr als zwei Misshandlungsformen erlitten. Die Mehrzahl der Fälle wurde als schwer und/oder chronisch eingeschätzt. Die überwiegende Zahl der Kinder und Jugendlichen litten unter einer emotionalen Belastung oder posttraumatischem Stress, während langfristige körperliche Folgen seltener berichtet wurden. Intrafamiliäre Beziehungsprobleme und emotionale Störungen der Bezugspersonen wurden als für die Misshandlung oder Vernachlässigung in der Regel als bedeutsamer angesehen als sozioökonomische Faktoren. Bei 55 % der Kinder und Jugendlichen wurde eine Störung der sozialen und emotionalen Entwicklung festgestellt, bei über einem Viertel eine Entwicklungsretardierung.Schlussfolgerung:Die derzeit gebräuchliche Klassifikation verschiedener Misshandlungsformen kann nicht die Komplexität der Gewalterfahrungen in der Kindheit abbilden; zukünftige Forschungsstrategien sollten sich an den körperlichen, seelischen und sozialen Folgen der Misshandlungen oder Vernachlässigungen orientieren und die Ursachen und verantwortlichen Handlungen und Unterlassungen in einem multifaktoriellen Design berücksichtigen. Prospektive Studien sind notwendig, um spezifische Effekte verschiedener Gewalterfahrungen zu erfassen.
UR - http://www.scopus.com/inward/record.url?scp=0033946536&partnerID=8YFLogxK
U2 - 10.1055/s-2000-11468
DO - 10.1055/s-2000-11468
M3 - Zeitschriftenaufsätze
C2 - 10920567
AN - SCOPUS:0033946536
SN - 0941-3790
VL - 62
SP - 311
EP - 319
JO - Gesundheitswesen
JF - Gesundheitswesen
IS - 6
ER -