Abstract
Die Gesundheitsausgaben betrugen laut Statistischem Bundesamt im Jahre 2009 über 278 Milliarden Euro (11,6 % des Bruttoinlandsprodukts), mit einem weiteren Anstieg auf bis zu 20 % ist zu rechnen. Der „Gesundheitsmarkt” hat sich längst zu einem attraktiven Wachstumsmarkt entwickelt und ist dem Trend zunehmender Ökonomisierung und Privatisierung unterworfen. Der Patient bewegt sich in einem Umfeld, das u. a. von Renditeerwartungen privater Geldgeber einerseits und vom immensen Spardruck der öffentlich-rechtlichen Krankenhausträger andererseits geprägt ist. Die Schuldenbremse des Grundgesetzes und jüngste Prognosen über unerwartet hohe Steuereinnahmen lassen den Schuldenberg der öffentlichen Haushalte von knapp 2 Billionen Euro lediglich etwas langsamer wachsen als bisher. Groß ist da die Versuchung der öffentlichen Hand, sich aus der Trägerschaft von Kliniken zurückzuziehen, durch die Veräußerung des kommunalen oder landeseigenen „Tafelsilbers” kurzfristig einmalige Erlöse zur Haushaltskonsolidierung zu erzielen und sich langfristig defizitären Haushaltsposten zu entledigen.
Aber: Gesundheit ist keine Ware, die nach neoliberalen Marktvorstellungen reguliert werden kann. Das Beispiel USA zeigt, dass von der Privatisierung des Gesundheitsmarktes, in dem jeder „Kunde” seine „Gesundheitsleistung” frei wählen kann, nur gut situierte, entscheidungsfähige Patienten profitieren, während staatliche Gesundheitsfürsorgeprogramme wie Medicare und Medicaid als Sammelbecken für Patienten mit „schlechten Risiken” dienen, die zu krank oder zu arm sind, um frei zu wählen. Die Vorstellung vom freien Markt, auf dem leistungsstarke Patienten als mündige und frei handelnde Kunden selbstbestimmt, gut informiert und aufgeklärt zwischen verschiedenen Angeboten wählen, entspricht gerade im Fach Psychiatrie und Psychotherapie kaum der Wirklichkeit. Auch im Bereich hoheitlicher Aufgaben, im Maßregelvollzug und bei der Unterbringung nach PsychKG, stößt neoliberales Wirtschaftsdenken an Grenzen.
Eine an Dividenden- und Renditedenken von Investoren und Aktionären orientierte Medizin in privater Trägerschaft läuft Gefahr, die Arbeitsabläufe derart zu verdichten, dass die Versorgungsqualität leidet. In Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie stellt aber das Personal die teuerste Ressource mit dem größten Einsparpotenzial dar und weckt somit Begehrlichkeiten privater Investoren. Gerade hier, in den Bereichen Interaktion, Kommunikation und Beziehung, ist schnell eine Grenze erreicht, an der auf Kosten der Qualität gespart wird.
Auch Kliniken in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft können gewinnbringend oder zumindest kostendeckend betrieben werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu müssen mit kreativen Ideen und neuen Partnern vorhandene strukturelle Defizite abgebaut, die oft marode Bausubstanz saniert und Geld in eine moderne bauliche Infrastruktur und Ausstattung zur Schaffung eines konkurrenzfähigen Hotelstandards investiert werden. Erst dann wird effizientes Arbeiten unter guten Arbeitsbedingungen möglich, Betriebskosten können gesenkt und weitere ökonomische Reserven gehoben werden. Um psychiatrische Kliniken weiterhin unter öffentlicher Trägerschaft betreiben zu können, ist fraglos eine Orientierung am Gewinn vonnöten, auch wenn oft genug zunächst nur eine Minimierung des Verlusts oder die „schwarze Null” realistisch ist.
Selbstverständlich kann auch eine Privatisierung positive Wirkungen entfalten. Private Träger können den häufig bestehenden baulichen Investitionsstau schneller auflösen und auf diese Weise den Unterbringungsstandard und die Behandlungszufriedenheit der Patienten und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen. Auch kann privaten Trägern getrost die höhere Managementkompetenz zugesprochen werden, während sich öffentlich-rechtliche Träger nach wie vor schwer damit tun, sich an neue Marktverhältnisse anzupassen und Dynamik, Flexibilität und Entscheidungsfreudigkeit, wie sie privaten Trägern mit ihrer höheren Innovationsbereitschaft eigen ist, vermissen lassen. Kann ein privater Betreiber wirtschaftliche Ressourcen heben, ohne im Personalbereich nennenswert zu sparen, dann mag Privatisierung auch einen Gewinn für die Patientenversorgung darstellen. Dies setzt aber voraus, dass der Investor ein langfristiges, durchdachtes Engagement und einen nachhaltigen Wachstumskurs verfolgt und sich mit einer angemessenen Renditeerwartung begnügt.
Die Ökonomisierung des Gesundheitsmarktes ist nicht aufzuhalten. Wir sollten die damit verbundenen Risiken und Probleme bedenken, uns aber den möglichen Vorteilen und Chancen nicht verschließen. Kurzfristig orientierten Holdings, die nicht am Patientenwohl und an wirksamen Therapiekonzepten, sondern nur an Gewinnmaximierung interessiert sind und mit drastischen Einsparungen im Personalbereich hohe Renditen herauspressen, ist sowohl durch die verkaufende öffentliche Hand als auch die Aufsichtsbehörden eine Absage zu erteilen.
Prof. Dr. F. Hohagen
Aber: Gesundheit ist keine Ware, die nach neoliberalen Marktvorstellungen reguliert werden kann. Das Beispiel USA zeigt, dass von der Privatisierung des Gesundheitsmarktes, in dem jeder „Kunde” seine „Gesundheitsleistung” frei wählen kann, nur gut situierte, entscheidungsfähige Patienten profitieren, während staatliche Gesundheitsfürsorgeprogramme wie Medicare und Medicaid als Sammelbecken für Patienten mit „schlechten Risiken” dienen, die zu krank oder zu arm sind, um frei zu wählen. Die Vorstellung vom freien Markt, auf dem leistungsstarke Patienten als mündige und frei handelnde Kunden selbstbestimmt, gut informiert und aufgeklärt zwischen verschiedenen Angeboten wählen, entspricht gerade im Fach Psychiatrie und Psychotherapie kaum der Wirklichkeit. Auch im Bereich hoheitlicher Aufgaben, im Maßregelvollzug und bei der Unterbringung nach PsychKG, stößt neoliberales Wirtschaftsdenken an Grenzen.
Eine an Dividenden- und Renditedenken von Investoren und Aktionären orientierte Medizin in privater Trägerschaft läuft Gefahr, die Arbeitsabläufe derart zu verdichten, dass die Versorgungsqualität leidet. In Kliniken für Psychiatrie und Psychotherapie stellt aber das Personal die teuerste Ressource mit dem größten Einsparpotenzial dar und weckt somit Begehrlichkeiten privater Investoren. Gerade hier, in den Bereichen Interaktion, Kommunikation und Beziehung, ist schnell eine Grenze erreicht, an der auf Kosten der Qualität gespart wird.
Auch Kliniken in öffentlich-rechtlicher Trägerschaft können gewinnbringend oder zumindest kostendeckend betrieben werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu müssen mit kreativen Ideen und neuen Partnern vorhandene strukturelle Defizite abgebaut, die oft marode Bausubstanz saniert und Geld in eine moderne bauliche Infrastruktur und Ausstattung zur Schaffung eines konkurrenzfähigen Hotelstandards investiert werden. Erst dann wird effizientes Arbeiten unter guten Arbeitsbedingungen möglich, Betriebskosten können gesenkt und weitere ökonomische Reserven gehoben werden. Um psychiatrische Kliniken weiterhin unter öffentlicher Trägerschaft betreiben zu können, ist fraglos eine Orientierung am Gewinn vonnöten, auch wenn oft genug zunächst nur eine Minimierung des Verlusts oder die „schwarze Null” realistisch ist.
Selbstverständlich kann auch eine Privatisierung positive Wirkungen entfalten. Private Träger können den häufig bestehenden baulichen Investitionsstau schneller auflösen und auf diese Weise den Unterbringungsstandard und die Behandlungszufriedenheit der Patienten und die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeiter erhöhen. Auch kann privaten Trägern getrost die höhere Managementkompetenz zugesprochen werden, während sich öffentlich-rechtliche Träger nach wie vor schwer damit tun, sich an neue Marktverhältnisse anzupassen und Dynamik, Flexibilität und Entscheidungsfreudigkeit, wie sie privaten Trägern mit ihrer höheren Innovationsbereitschaft eigen ist, vermissen lassen. Kann ein privater Betreiber wirtschaftliche Ressourcen heben, ohne im Personalbereich nennenswert zu sparen, dann mag Privatisierung auch einen Gewinn für die Patientenversorgung darstellen. Dies setzt aber voraus, dass der Investor ein langfristiges, durchdachtes Engagement und einen nachhaltigen Wachstumskurs verfolgt und sich mit einer angemessenen Renditeerwartung begnügt.
Die Ökonomisierung des Gesundheitsmarktes ist nicht aufzuhalten. Wir sollten die damit verbundenen Risiken und Probleme bedenken, uns aber den möglichen Vorteilen und Chancen nicht verschließen. Kurzfristig orientierten Holdings, die nicht am Patientenwohl und an wirksamen Therapiekonzepten, sondern nur an Gewinnmaximierung interessiert sind und mit drastischen Einsparungen im Personalbereich hohe Renditen herauspressen, ist sowohl durch die verkaufende öffentliche Hand als auch die Aufsichtsbehörden eine Absage zu erteilen.
Prof. Dr. F. Hohagen
Titel in Übersetzung | Economisation and privatisation in psychiatry and psychotherapy |
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Originalsprache | Deutsch |
Zeitschrift | Fortschritte der Neurologie Psychiatrie |
Jahrgang | 79 |
Ausgabenummer | 6 |
Seiten (von - bis) | 329 |
Seitenumfang | 1 |
ISSN | 0720-4299 |
DOIs | |
Publikationsstatus | Veröffentlicht - 2011 |
Strategische Forschungsbereiche und Zentren
- Forschungsschwerpunkt: Gehirn, Hormone, Verhalten - Center for Brain, Behavior and Metabolism (CBBM)