Hintergrund: Die Wirksamkeit präventiver und rehabilitativer Maßnahmen hängt wesentlich davon ab, ob sie dem individuellen Bedarf der betroffenen Personen gerecht wird. Dies stellt hohe Anforderungen an die Diagnostik. Eine stark an Krankheitssymptomen orientierte Sichtweise, die die Anforderungen eines Arbeitsplatzes nicht berücksichtigt, erschwert die Bedarfsklärung. Sind gesundheitliche Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bereits sehr fortgeschritten, ist der Erfolg von Rehabilitationsleistungen fraglich. Im subjektiven Erleben von Mitarbeitern mit bedrohter beruflicher Integration und in der betriebsinternen Kommunikation stehen körperliche Beschwerden zunächst im Vordergrund. Die erlebten Einschränkungen und deren Auswirkungen sind aber oftmals vielschichtig. Häufig erfolgt eine ganzheitliche Diagnostik aber verspätet, unvollständig oder einseitig und ist die Zusammenarbeit zwischen Betrieb und Leistungserbringer ungenügend.
Das Projekt begleitet die Entwicklung, Implementierung und Erprobung einer frühzeitigen diagnostischen Klärung gesundheitlicher Probleme, die die berufliche Teilhabe gefährden. Ziel des Modellvorhabens ist ein schneller ganzheitlicher Abgleich von individueller Leistungsfähigkeit und beruflichen Anforderungen. Aus diesem Vergleich können passgenaue Handlungsstrategien abgeleitet werden, um den Verbleib im Betrieb zu sichern.
Methoden: Die Entwicklung der Intervention wird im ersten Projektjahr in vier Workshops mit den beteiligten Akteuren realisiert. Zur standardisierten Durchführung der Intervention wird ein schriftliches Manual erstellt. In der Erprobungsphase im zweiten Projektjahr werden die Zielgruppenerreichung, die erbrachte Behandlungsdosis und die wahrgenommene Behandlungsdosis beschrieben. Auf Grundlage der Auswertungen wird das Manual zur Durchführung der Intervention angepasst. Die Wirksamkeitsprüfung des neuen Versorgungskonzepts erfolgt mittels einer randomisierten kontrollierten Studie mit Wartekontrollgruppe, die die Intervention zu einem späteren Zeitpunkt erhält. Geplant ist der Einschluss von 210 Personen (105 Personen pro Gruppe). Das primäre Zielkriterium ist die selbsteingeschätzte Arbeitsfähigkeit und wird sechs Monate nach der Ersterhebung mit dem Work Ability Score erhoben.
Ergebnisse: In der Machbarkeitsstudie nahmen 27 Personen am Modellvorhaben GIBI teil. Vom betriebsärztlichen Erstgespräch zum letzten Nachsorgegespräch berichteten die Teilnehmenden eine klinisch relevante Verbesserung ihrer allgemeinen Gesundheit (Differenz= 1,52; 95-%-KI 0,37 bis 2,67).
Für die randomisierte kontrollierte Studie wurden Daten von 61 Teilnehmenden (IG: n = 32) berücksichtigt. Zwischen IG und KG zeigte sich nach sechs Monaten ein klinisch bedeutsamer, aber statistisch nicht signifikanter Unterschied für die subjektive Arbeitsfähigkeit (Differenz = 1,15: 95-%-KI: -0,05 bis 2,35; p = 0,061; SMD = 0,53). Für die wahr-genommene Unsicherheit des Arbeitsplatzes zeigte sich ein Effekt mit mittlerer Effekt-stärke zugunsten der IG (Differenz = -16,40; 95-%-KI: -29,82 bis -2,99; p = 0,017; SMD = -0,54). Zudem berichteten Personen der IG rund vier Wochen kürzere Arbeitsunfähigkeit in den letzten sechs Monaten im Vergleich zur KG (Differenz = -4,00: 95-%-KI: -7,49 bis -0,51; p = 0,025; SMD = -0,52).
Diskussion: Eine erfolgreiche Durchführung von GIBI erfordert eine enge und intensive Zusammenarbeit zwischen Betriebsärzt*innen und Rehabilitationseinrichtungen. Die Ergebnisse der randomisierten kontrollierten Studie deuten darauf hin, dass die GIBI-Intervention zu einer Reduzierung von Arbeitsunfähigkeitszeiten und einer Verbesserung der Arbeitsplatzsicherheit führt. Für die subjektive Arbeitsfähigkeit konnte der Vorteil nicht statistisch abgesichert werden, was davon beeinflusst wurde, dass wir die a priori geplante Stichprobengröße von 210 Personen deutlich nicht erreichten. Gründe dafür sind ein verspäteter Rekrutierungsstart, der Ausstieg einer Rehabilitationseinrichtung sowie die pandemiebedingte Überlastung der Betriebsärzt*innen.
Zusammengefasst, bietet GIBI Erwerbstätigen jedoch eine Möglichkeit, sich mit der eigenen Gesundheit auseinanderzusetzen und rehabilitative Leistungen frühzeitig kennenzulernen. Ein zweitägiges Teilhabeassessment kann das Leistungsspektrum von rehabilitativen Einrichtungen wirksam erweitern. Regionale Netzwerke aus Betriebs- und Rehabilitationsmedizin könnten auch in anderen Versorgungsformen, z. B. für die medizinisch-beruflich orientierte Rehabilitation, genutzt und Rehabilitationskliniken zu regionalen rehabilitationsmedizinischen Kompetenzzentren weiterentwickelt werden.